Bis hierher und nicht weiter. Oder: Wie wir uns im Team unsere Komfortzone gestalten.
In meinen Blogartikeln zur bedürfnisorientierten Führung und zu Leitmotiven von Führungskräften galt mein Blick der wertschätzenden Zusammenarbeit zwischen Führungskräften und einzelnen Mitarbeiter*innen. Es blieb die Frage offen, wie wir den mit den Bedürfnissen eines Teams umgehen können? Also dann, wenn es nicht mehr nur um einzelne geht, sondern eine Gruppe von Mitarbeiter*innen. Dazu lade ich Sie herzlich ein, sich einmal mit dem Begriff der Komfortzone zu beschäftigen. Klingt entspannt, oder? Kennen Sie Ihre Komfortzone? Oder ganz mutig gefragt: Kennen Sie die Komfortzone Ihres Teams?
Lassen Sie uns doch hier einmal genauer hinschauen und herausfinden warum es so wichtig sein kann, die Komfortzone eines Teams zu kennen.
Leben im Kontinuum
Es gibt unzählige Modelle, die versuchen, unsere Persönlichkeit zu beschreiben. Diese Vielfalt macht durchaus Sinn, denn ein Modell ist immer nur ein Erklärungsansatz, um die Wirklichkeit zu beschreiben. Ich mag Modelle, die davon ausgehen, dass unsere Persönlichkeitsmerkmale keine starren Konstrukte sind (wenn auch über die Zeit stabil), sondern sich auf einem Kontinuum bewegen. Eher fröhlich, als traurig. Eher introvertiert, als extrovertiert. Diese Sichtweise schließt mit ein, dass wir uns auf diesem Kontinuum, je nach Situation durchaus bewegen können. Es heißt auch, dass selten zwei Menschen genau die gleiche Merkmalsausprägung haben. Sie bewegen sich nur in einem ähnlichen Bereich dieses Kontinuums. Also beide eher introvertiert und doch kann es noch Unterschiede in der Ausprägung geben.
Lassen Sie uns von dieser Idee für den Moment einmal ausgehen und schauen, wohin sie uns führt. Jedes unserer Persönlichkeitsmerkmale bewegt sich also auf einem Kontinuum zwischen zwei Polen.
Ich sehe Dich so, wie ich bin
Mein Lieblingsbeispiel, um dieses „Merkmalskontinuum“ zu beschreiben, geht so:
Heinz ist ein Lebemann. Sein Motto lautet „Das letzte Hemd hat keine Taschen.“ Heinz gibt das Geld, das er hat, aus. Er bedenkt auch andere mit teuren Geschenken. Diskussionen über das Budget im Team nerven ihn. So lange Geld da ist, kann es doch auch genutzt werden. Einige im Team empfinden Heinz Art als verschwenderisch.
Luise weiß zu leben. Sie trägt gern teure Kleidung und gönnt sich auch mal ein besonderes Mittagessen. Gern lädt sie andere dazu ein oder schmeißt eine Runde im Team. Manche mögen Luise sehr, weil sie so eine großzügige Art hat.
Erwin gilt in seinem Team als sparsam. Er achtet bei den Ausgaben sehr darauf, ob diese notwendig sind und vergleicht gern Angebote, um zu sparen. Seine Tipps und Tricks sind im Team sehr beliebt. Manch einer wäre auch gern so sparsam wie Erwin.
Brunhilde achtet auf ihr Geld und ihr ist wichtig, dieses sinnvoll einzuteilen. Sie weiß ihr Geld zusammenzuhalten. Sie führt eine Strichliste darüber, wieviel Kaffee sie im Büro trinkt und rechnet dies auf ihren Anteil an der Kaffeekasse um. Manche empfinden Brunhilde als geizig.
Die Skala von dem Beispiel reicht von „verschwenderisch“ über „großzügig“ zu „sparsam“ und „geizig“. Viele Facetten eines Merkmals. Das spannende ist doch dabei, ab wann ist ein Verhalten nicht mehr großzügig, sonder verschwenderisch? Wann empfinden wir jemanden nicht mehr als sparsam, sondern als geizig? Tja nun, wahrscheinlich können Sie es sich schon denken. Es kommt darauf an, wo wir selber stehen. Wenn ich selber einen hohen Anteil an „großzügigem Verhalten“ in mir trage, dann werde ich jemanden vielleicht schnell als „geizig“, nicht aber so schnell als „verschwenderisch“ betrachten. Die Grenzen liegen bei unterschiedlichen Menschen also durchaus an verschiedenen Stellen.
Das geht ja gar nicht!
Jetzt kommt noch etwas dazu. Wir haben nicht nur persönliche Werte, die wir leben und die unsere Persönlichkeit prägen, sondern auch Widerstände, die sich in unseren Reaktionen auf das Verhalten anderer zeigen. Und diese sind bei jedem Menschen auch wiederum sehr unterschiedlich ausgeprägt. So kann ich selber sparsam sein und gleichzeitig einen großen Widerstand gegenüber geizigen Menschen haben. Wir bewegen uns damit also zwischen verschiedenen Ausprägungen, deren Grenzen bei jedem Menschen ganz unterschiedlich verlaufen und auch unterschiedlich viel Spielraum beinhalten. Das macht unsere vielfältige Persönlichkeit aus.
Im Riemann-Thomann Modell wird diese Komfortzone, in der wir uns bewegen etwas vereinfacht, aber ganz anschaulich, als das „Heimatgebiet“ beschrieben. Innerhalb eines Koordinatensystems verschiedener Pole bewegen wir uns je nach Situation in verschiedene Richtungen. Legt man das Verhalten einer Person in vielen Situationen übereinander, erhält man ein Gebiet, in dem sich dieser Mensch am sichersten fühlt. Die Komfortzone, oder eben das Heimatgebiet. In diesem Gebiet sind wir leistungsfähig und fühlen uns ungestört. Hilfreich an dem Modell finde ich, dass es einschließt, dass wir uns durchaus auch außerhalb unserer Komfortzone bewegen. Aber am schönsten ist es doch in der Heimat.
Grenzgebiet
Als Team könnte es spannend sein, herauszufinden, wo sich das Heimatgebiet der Mitarbeiter*innen zu einem spezifischen Thema befindet. Wo verlaufen die Grenzen? Dieses Gebiet kann auch als kleinster gemeinsamer Nenner verstanden werden. Hier findet gegenseitiges Verstehen seinen Ursprung.
Nun könnte man meinen, dass es gut sei, wenn die individuellen Komfortzonen möglichst ähnlich sind. Wenn sich also möglichst viele im gleichen Gebiet tummeln. Ich fürchte aber – und das sagt auch meine Erfahrung – das ist zu einfach gedacht. Denn das bedeutet auch, dass es womöglich zu viel des gleichen gibt und der Spielraum sehr klein wird. Wenn alle Abwechslung bevorzugen und jeden Tag neue Ideen umsetzen wollen, bleibt die Beständigkeit auf der Strecke. Wenn sich alle einig sind, dass Distanz bei der Arbeit okay ist, kann auf Dauer die Nähe fehlen. Es braucht also ein gemeinsames Gebiet, aber eben auch die Unterschiedlichkeit. Noch besser ist, wenn wir uns im Team so wohlfühlen, dass die Komfortzone miteinander wachsen kann. Wenn ich Veränderungen eher skeptisch gegenüberstehe, kann ich in diesem Team gelernt haben, dass ich ausreichend geschützt werde. Dass ich Veränderung aushalten kann, wenn sie vom ganzen Team getragen wird.
Gemeinsam rausgehen
Um mit der Unterschiedlichkeit zwischen Mitarbeiter*innen umzugehen, braucht es aus meiner Sicht vor allem Wertschätzung. Ich habe in der vergangenen Woche einen neuen Begriff kennengelernt, der mir sofort gefallen hat und gut in die Teamarbeit passt (eigentlich kommt er aus der Pädagogik): „achtsam zumuten“. Wir dürfen uns ruhig gegenseitig etwas zumuten. Mut zusprechen, eine Grenze zu überschreiten, etwas auszuhalten, was uns widerspricht, gegenseitig ermuntern, neue Wege auszuprobieren. Wir können gemeinsam die Grenze verschieben. Den Unterschied macht für mich dabei die Wertschätzung der Grenze. Zu benennen, dass wir die Komfortzone des einen verlassen. Achtsam damit umzugehen und nicht einfach Zäune einzureißen.
Doch wie kann das gehen? Wir reden hier ja immer noch von einem Arbeitsteam…
Ich mag folgende Frage in Prozessen, bei denen es darum geht, Neues im Team einzuführen: Was ist gerade noch okay? Und dann stelle ich die Frage in alle Richtungen. Ein Einzelbüro für alle geht nicht, was wäre gerade noch okay? Flexible Arbeitsplätze sind für manche schwer auszuhalten, was ist gerade noch okay? Und dann kommen wir zu kreativen Lösungen im Grenzgebiet unserer gemeinsamen Komfortzone. Und noch mehr. Wir lernen häufig auch zu verstehen, was genau die Grenze ausmacht. Ein hoher Workload ist gar nicht so schlimm, wenn ich dafür meine Pause individuell gestalten kann. Ah, es geht um die Pausen. Ein Großraumbüro stört mich nicht, wenn es verschiedene Zonen gibt (Ruhezone, kreative Zone, Austauschplattform…). Ach, es geht um die Art der Arbeit im Großraumbüro. Und manchmal nützt alles nichts. Da müssen wir raus aus dem Heimatgebiet und auch das aushalten. Dieses bewusst zu tun kann einen Unterschied machen.
Achtung! Sie verlassen sicheres Gelände
Mit diesem Bild des Heimatgebietes wird deutlich, warum es manchmal scheinbar Kleinigkeiten sind, die zu einem Widerstand führen. Wenn sich Mitarbeiter*innen stetig im Grenzgebiet aufhalten und wenig Zeit in der eigenen Komfortzone verbringen, sind diese stark damit beschäftigt, ihre Grenzen zu schützen. Werden diese dann erneut verschoben, setzt der Widerstand ein. Es ist also wichtig darauf zu achten, dass das Team, aber auch jede*r Mitarbeiter*in möglichst auch Zeit in der Komfortzone verbringen kann. Wie so oft macht es die Mischung.
Unser Heimatgebiet
Mit dem Wissen um das Heimatgebiet des Teams können Führungskräfte Veränderungen achtsam und wertschätzend steuern. Achtsam und sorgfältig zu entscheiden, ob es notwendig ist, neue Gebiete zu erkunden oder ob die Zeit ein sicheres arbeiten innerhalb der Komfortzone erfordert, kann ein hilfreicher Ansatz sein. Und es ist so spannend, das Gebiet zu erkunden und die schillernden Facetten kennenzulernen.
Wo sind Sie zu Hause? Wo ist Ihr Team beheimatet? Finden Sie es heraus!