Am Ende wird alles wieder gut. Oder: Warum es kein Ende der Pandemie geben muss.
Es ist schon einige Zeit her, seit ich den letzten Blogartikel geschrieben habe. Das liegt nicht daran, dass ich nicht wollte, sondern eher, dass die Welt sich gerade so schnell dreht, dass mir ganz schwindelig wird. Im Großen und im Kleinen passieren jeden Tag Dinge, die ich erst einmal wahrnehmen, einordnen und verdauen muss. Ich hatte also nicht zu wenig, sondern zu viele Themen. Und nun, nachdem ich das Spiel eine Weile mitgespielt und ich mich meinen Gedanken hingegeben habe, lässt mich ein Thema nicht los:
Warum warten viele Unternehmen und Teams immer noch auf ein Ende der Pandemie? Welche Rolle spielt es für die Zusammenarbeit? Und warum glaube ich, dass diese Einstellung schwierig ist.
Ich nehme Sie mal mit auf meine Gedankenreise, warum wir aufhören können zu warten und lieber das Ankommen feiern sollten. Die Freiheit liegt im Tun!
Der Traum: Zurück in die Zukunft
Kennen Sie diese Gespräche „Hey Martin, sag mal, wie ist es bei Euch im Unternehmen? Geht Ihr schon wieder ins Büro? Oder dürft Ihr noch im Homeoffice bleiben?“ Kaum werden neue Verordnungen erlassen, rufen die Chefs wieder in die Büros. Endlich, endlich sind alle wieder beisammen, der „alte Zustand“ kann wieder hergestellt werden, einzig die Masken erinnern daran, dass wir lernen mit einem ansteckenden Virus zu leben. Alle strukturellen, technischen und prozessualen Veränderungen der letzten zwei Jahre können endlich wieder verworfen und die Rückkehr zum Alltag gefeiert werden. Welch angenehme Situation, wieder in gewohnter Umgebung agieren zu können. Diese Beobachtung trifft bei weitem nicht auf alle Unternehmen zu – aber auf einige.
Puh, wie unfrei eine solche Haltung doch macht. Bedeutet diese Herangehensweise nicht, dass die gesamte Unternehmensorganisation und -kultur abhängig ist von externen Verordnungen? Aus meiner Sicht laufen Unternehmen, die so handeln, Gefahr, immer nur reagieren zu können, ohne aktiv zu gestalten. Und seien wir mal ehrlich – das wird nicht die letzte Pandemie und auch nicht die letzte Situation gewesen sein, die uns zwingt umzudenken. Unternehmen, die jede Veränderung als „zeitlich begrenzt“ einstufen, schätzen meiner Meinung nach die Komplexität der Welt als zu gering ein.
Change is the only constant – sagte wohl Heraclitus
Wir finden verschiedene Versionen dieses Zitats, das Heraclitus zugeordnet wird. Und es ist so aktuell wie nie. Die VUCA-Welt besteht nicht aus linearen Ereignissen, schon gar nicht aus Zuständen. Wir befinden uns vielmehr in einer komplexen Welt, die täglich, stündlich, minütlich Anpassungen erfordert. Zu erwarten, dass sich ein Zustand in der Art ändert, dass ein vorangegangener Zustand wieder hergestellt werden kann, erscheint mir realitätsfern. Selbst wenn die Rahmenbedingungen auf den ersten Blick wieder in einen früheren Zustand überführt werden können, so haben sich doch die Menschen und ihre Erfahrungen verändert. Und diese Erkenntnis – die nicht neu ist – besteht unabhängig von der Pandemie. Das Besondere an den letzten zwei Jahren war, dass die gesamte Weltbevölkerung gleichzeitig in einen Ausnahmezustand geriet. Im Kleinen betrachtet, leben wir schon immer im Fluss der Ereignisse.
Frei ist, wer mitgeht
Warum also ist es für manche Unternehmen so relevant, ob sich die pandemische Lage verändert. Ich rede nicht von den aktuell noch notwendigen Schutzmaßnahmen, wie die Maskenempfehlung oder von Teams, die von hohen krankheitsbedingten Ausfällen betroffen sind. Ich frage mich, warum es für das tägliche Arbeiten immer noch wichtig ist, wie die Teams zusammenfinden. Sollten wir nach zwei Jahren nicht gelernt haben, dass es tolle Gestaltungsmodelle im hybriden Arbeiten gibt? Sollten die Chefs nicht erkannt haben, dass Mitarbeiter*innen durchaus in der Lage sind zu entscheiden, an welchem Ort sie optimal arbeiten können? Warum braucht es Beschränkungen, ob und wie oft jemand mobil arbeiten darf? Selten waren wir so nah an der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Bei der alle gemeinsam zu Mittagessen können, Pausen für Spiele mit den Kindern genutzt werden und ewiglange Fahrtwege ausbleiben, sodass sich die Arbeitszeit verkürzt. Ich gehe bewusst darüber hinweg, dass es auch in diesem Modell Stolperfallen gibt. Es geht mir ausnahmsweise nicht darum, die konkrete Umsetzung zu beleuchten, sondern den Blick darauf zu lenken, welches Mindset dahintersteht, wenn wir uns „zurück zur Gewohnheit“ wünschen.
Ganz ehrlich: ich habe bis heute keine befriedigende Erklärung gefunden, warum die Zusammenarbeit im Büro erfolgen muss. Meist scheint mir ein Machtmotiv dahinter zu stehen. Ich möchte aber eigentlich nicht daran glauben, denn was sagt das über unsere Führungskräfte aus? Vielleicht ist es auch die Angst vor Veränderung, der große Aufwand, der betrieben werden muss. Hier sei als Beispiel nur die Gesetzgebung genannt, die die Arbeitsverträge um etliche Seiten anwachsen lässt, wenn man das mobile Arbeiten aus arbeitsrechtlicher Sicht wasserdicht gestalten möchte. Aber ist es nicht auch ein großer Aufwand, immer aus einer reaktiven Haltung heraus zu führen? Nie vorausschauend planen zu können, weil das Unternehmen erst einmal abwarten muss, welche Verordnung als nächstes erlassen wird?
Bewegung als Zustand
Wer so lebt, hat eines nicht verstanden: Change kennt kein Ende. Und Change ist anstrengend. Wer diese Erkenntnis jedoch für sich annimmt und sein Team begleitet, flexibel und agil immer neue Wege zu gehen, wird ankommen. Ein verrückter Gedanke eigentlich, dass Ankommen kein Zustand sein kann, sondern sich im Gegenteil durch Bewegung zeigt.
Und noch eine Idee: wenn wir davon ausgehen, dass jeder Mensch anders ist und andere Bedürfnisse in der Arbeitsorganisation hat, kann es dann überhaupt EIN Arbeitsmodell für alle geben? Erzielen wir nicht gerade dann gute Ergebnisse, wenn wir möglichst flexibel im Team handeln können? Natürlich setzt dies eine hohes Maß an kommunikativen Kompetenzen voraus. Möglichkeiten müssen im Team ausgehandelt, individuelle Regelungen getroffen werden. Ich traue das jedem Team zu – wenn vielleicht auch Anleitung und Begleitung nötig ist. Und ich glaube daran, dass so eine wertschöpfende, gesunde Arbeitskultur entsteht.
Wahrnehmen – Annehmen – Gestalten
Ich bin also einigermaßen überrascht, dass ich Freunde im Umfeld habe, die aufgrund der Unternehmensorganisation immer noch darauf warten, dass ein Ende der Pandemie eintritt. Die nicht ankommen können in einer neu gestalteten Form der Zusammenarbeit, sondern stets auf die Nachricht warten, dass sich etwas ändern wird. Viele von ihnen sind frustriert und können die Entscheidungen des Unternehmens nicht immer nachvollziehen. Ich höre immer wieder, dass die Zusammenarbeit in hybriden Modellen nach einer Eingewöhnungsphase gut geklappt hat, dass viele sich auf den Weg gemacht haben, neue Methoden auszuprobieren und richtig Lust bekommen haben, da dran zu bleiben. Diese positiven Erlebnisse werden ja nahezu negativ besetzt, wenn nun die traditionelle Zusammenarbeit vor Ort als Zielzustand glorifiziert wird. Gleichzeitig bleibt die aktuelle Situation ein Provisorium das passt, sich aber irgendwie fremd anfühlt.
Mein Wunsch daher an alle Führungskräfte: Nehmt wahr was gut ist, nehmt an was da ist und gestaltet mit Eurem Team gemeinsam die zukünftige Zusammenarbeit. Macht Euch unabhängig!
Feiern Sie die aktuelle Situation! Betrachten Sie, was Sie in den letzten zwei Jahren im Team geschafft haben. Wie großartig Sie die Herausforderungen gemeistert haben, wie schnell Sie Lösungen gefunden und neue Prozesse eingeführt haben. Ich bin sicher, dass es eine lange Liste an Errungenschaften gibt, die sich feiern lassen!
Was können Sie feiern? Sind Sie schon angekommen oder warten Sie noch?