Oder: Von der Haltung hinter der Führung.
Das Thema Bedürfnisse im Arbeitskontext begleitet mich nun schon eine Weile. In regelmäßigen Abständen reflektiere ich für mich, was es bedeutet, ein Team bedürfnisorientiert zu führen. Ich komme dabei immer mehr zu dem Schluss, dass mir die Darstellung dieses komplexen Themas oft zu einseitig erscheint. Heute stelle ich Ihnen daher gern einmal meine Gedanken dazu vor. Und ich bin gespannt auf Ihre Reaktionen! Ich nehme schon einmal vorweg, dass das Thema an sich zu weitreichend für einen einzelnen Blog-Beitrag ist. Vielleicht wird ja eine kleine Serie daraus. Der Fokus heute liegt zunächst einmal auf dem Thema „Führungskraft“. Es geht also um den Menschen, der führt.
Bedürfnisse – Werte – Motive – …
Wenn ich an dieser Stelle von Bedürfnissen schreibe, dann meine ich damit die Werte oder die Antreiber oder die Motive, die einen Menschen leiten, so zu handeln, wie er*sie es tut. Es gibt unzählige synonym oder bedeutungsähnlich gebrauchte Begriffe. Jede*r wählt den, der am besten zu ihm*ihr passt. Die Grundbedürfnisse, die als Basis vieler Darstellungen dienen, werden gut nachvollziehbar in der Pyramide von Maslow dargestellt. Es geht um Sicherheit, Anerkennung, geistige Entfaltung und vieles mehr. An dem Wort „Bedürfnis“ mag ich, dass ich damit etwas ursprüngliches, ganz tief verwurzelt assoziiere. Bedürfnisse eines Menschen sind da und lassen sich nicht wegreden. An dieser Stelle sei erwähnt, dass unsere individuell ausgeprägten Grundbedürfnisse*Werte*Motive übrigens über die Lebensdauer hinweg recht stabil sind. Etwa ab einem Alter von 25 verändern sich nur noch die Ausprägungen, die Grundpersönlichkeit, die sich aus den Werten bildet, bleibt in der Regel bestehen.
Leitmotive
Es ist nicht meine eigene Idee wenn ich behaupte, dass Bedürfnisse unser Handeln stärker und mächtiger bestimmen, als manch eine*r das wahrhaben möchte. Entgegen dieser Macht zu handeln kostet viel Kraft und ist meist nur über einen begrenzten Zeitraum erfolgreich. Dies haben auch Coaches, Trainer*innen und Autor*innen von Ratgebern für Führungskräften erkannt und nutzen die Erkenntnis zur Schulung der „bedürfnisorientierten Führung“. Die Führungskraft soll mithilfe von Fragetechniken oder Fragebögen erkennen, welche Bedürfnisse die Mitarbeiter*innnen haben, um diese effektiver motivieren zu können. Bitte nicht falsch verstehen, ich befürworte das sehr! Ich bin ein großer Fan von dem werteorientierten Persönlichkeitstest Profile Dynamics. Und gleichzeitig ist es wichtig zu verstehen, wie wir diese Methoden einsetzen.
Was ich aus den Ratgebern lese
Führungskräfte können relativ leicht erlernen, wie sie bedürfnisorientiert führen. Sie lesen dann in etwa folgende Idee: Erreichen Sie ihre ziel- und wettkampforientierte Mitarbeiterin X darüber, dass Sie ihr mehr Prestige in Aussicht stellen. Ihr familienorientierter Mitarbeiter Y wünscht sich mehr Zeit mit seinen Kindern und erhält daher von Ihnen einen Zeitausgleich als Anreiz für bessere Leistung. Ich stelle das Vorgehen absichtlich an dieser Stelle so plakativ dar, da es mir immer wieder genau so manipulativ und einseitig begegnet. Ich habe ein Ziel, setze einen individuellen Reiz und steuer damit den*die Mitarbeiter*in. Das ist aus meiner Sicht genau das Gegenteil von dem, wie wir mit den Bedürfnissen*Werten*Motiven… unserer Mitarbeiter*innen umgehen sollten.
Was stattdessen?
Ein erster Knackpunkt liegt für mich in der Haltung, die meine eigene Rolle als Führungsperson trägt. Für mich besteht der Kern des ganzen Ansatzes darin, dass alle Beteiligten einer humanistische Grundhaltung folgen sollten. Dies bedeutet eine zutiefst wertschätzende Begegnung mit den Menschen in unserem Team. Und zwar bedingungslos und ohne Hintergedanken. Wir schätzen jede*n für das wie er*sie ist. Natürlich müssen wir im nächsten Schritt schauen, wie wir diese Persönlichkeit dann bestmöglich im Team und im Unternehmen unterbringen und fördern. Aber wir „be“nutzen die Bedürfnisse nicht dazu, sondern erkennen an, dass sie da sind. Deswegen ist es auch irreführend zu sagen, dass wir uns an den Bedürfnissen orientieren.
Über den Begriff: Bedürfnisorientierung
Ich persönlich hadere daher mit dem zweiten Teil des Begriffs – mit der Orientierung. Aus meiner Sicht geht es nicht darum, dass wir uns an Bedürfnissen orientieren. Der Schlüssel liegt darin, dass verschiedene Bedürfnisse anerkannt werden. Der Begriff der Wertschätzung in seiner wörtlichen Bedeutung liegt mir daher in dem Moment näher. Werte wert schätzen. Vielleicht wäre „Bedürfnis anerkennende Führung“ ein passender Begriff – klingt aber sehr sperrig. Vielleicht haben Sie eine gute Idee dazu?
Wie die konkrete Zusammenarbeit innerhalb dieses Gedankenexperimentes aussieht und was die Orientierung von der Anerkennung unterscheidet, möchte ich – wie bereits oben angekündigt – an anderer Stelle vertiefen. Mir geht es nach wie vor um die Führungskraft – also den Menschen, der führt. Und jetzt kommt der für mich entscheidende Punkt:
Wertschätzung und Bedürfnisorientierung sind keine Einbahnstraße!
Ach…?!
Wenn sich eine Führungskraft oder ein Managementteam für die Bedürfnisse der Mitarbeiter*innen (…und Kund*innen) interessiert, dann bedeutet echte Wertschätzung für mich, dass auch die Leitung ihre Bedürfnisse offen legt. Wofür stehe ich als Führungsmensch, was kann mein Team von mir erwarten (und was nicht), was ist mir persönlich wichtig. Durch die Transparenz auf beiden Seiten kann Vertrauen und eine echte bedürfnisbasierte Zusammenarbeit entstehen. Wenn ich die bedürfnisorientierte Führung nicht als Methode, sondern als Grundhaltung anerkenne, entsteht eine ganz neue Perspektive. Dies nimmt aus meiner Sicht einen Großteil des manipulativen Charakters, denn so begegnen sich alle auf Augenhöhe. Jede*r zeigt sich, wie er*sie ist. Und das erfordert Mut. Und das eröffnet Chancen. Auf allen Seiten.
Was für ein Gewinn!
Der Gewinn liegt für mich darin, dass aus dieser Haltung heraus eine vertrauensvolle Zusammenarbeit aller Beteiligten entstehen kann. Die Führung wird als Individuum sichtbar und die Handlungen nachvollziehbar. Und ist das nicht auch etwas, was sich Mitarbeiter*innen wünschen? In meinen Coachingsitzungen höre ich immer wieder folgenden Satz „Die alte Chefin war zwar schwierig, aber ich wusste immer woran ich bin.“ Es geht also vielleicht gar nicht immer darum wie man ist, sondern dass man authentisch und ein Stück weit greifbar ist. Dass ich mich als Team darauf verlassen kann, wofür der*die Chef*in steht.
Bedürfnisorientierte Führung richtet sich als Führungsperson also nicht nur an mein Team, sondern auch an mich selbst.
Wenn ein Unternehmen das so lebt, dann wird ein echtes werte-schätzendes und werte-lebendes Unternehmen daraus. Spannend, oder?
Was fehlt
Auch wenn ich den Blog-Beitrag mit diesem Gedanken schließe, bleiben viele interessante Fragen zu weiteren Aspekten des Themas offen. Wie kann ich die Bedürfnisse aller gleichermaßen wertschätzen, woran richten sich die Ziele des Unternehmens aus, was passiert wenn die Bedürfnisse einzelner konträr zueinander stehen, welche Bedürfnisse haben die Kunden und wie bringe ich die gesellschaftliche Verantwortung noch mit rein… Ich bleibe dran und berichte bald mehr.